Demografischer Wandel – Stärke liegt in der Vielfalt
Immer mehr Unternehmen entwickeln innovative Personalkonzepte, mit denen sie die Generation 50 plus halten und Frauen oder Migranten als neue Fachkräfte gewinnen können. So reagieren sie auf die Herausforderungen der alternden Gesellschaft.
Text: Monika Hofmann
Über 40 und innovativ? Was Firmenchefs oft bezweifeln, ist für die Wicke GmbH + Co. KG in der Ruhrgebietsstadt Sprockhövel die Basis für wirtschaftlichen Erfolg. Als Teil der vorausschauenden Personalpolitik setzt der Hersteller industrieller Räder und Rollen gezielt auf ältere Mitarbeiter. Bereits vor 20 Jahren gab es eine Altersstrukturanalyse. Ergebnis: Mitte 30, Tendenz steigend. Heute sind die Beschäftigten im technischen Bereich im Schnitt 43, im kaufmännischen 46 Jahre alt. Daher fährt die Geschäftsleitung eine zweigleisige Strategie: „Zum einen wollen wir unser Know-how halten und weiterentwickeln – wir behaupten uns mit ständigen Innovationen gut am Markt“, so Personal- und Finanzleiter Denis Glowicki. Zum anderen wirbt er um junge Leute, Quereinsteiger, Bewerber mit Migrationshintergrund: „Ohnehin passt es gut zu einem multinationalen Unternehmen wie Wicke, dass 30 Prozent der Mitarbeiter aus anderen Ländern stammen.“
Mit den älteren Beschäftigten klärt Glowicki frühzeitig ihre Lebensplanung. Außerdem investiert die Firma in ergonomische Arbeitsplatzausstattung und betriebliches Gesundheitsmanagement. „Viele wollen bis zur Rente oder sogar noch länger arbeiten, dafür entwickeln wir Lösungen.“ Parallel dazu prüft Glowicki, welche Kompetenz kurz‑, mittel- und langfristig verloren geht. „So erkennen wir, wo wir Mitarbeiter brauchen und wen wir auf neue Aufgaben vorbereiten sollten.“ Für einen systematischen Wissenstransfer wird regelmäßig der Stand in den Teams erfasst.
Ältere halten, Junge anlocken
Gleichzeitig werden Praktika über Schulen in der Nähe angeboten. Außerdem bekommen Ungelernte die Chance, Fachkräfte in der Produktion zu werden. Künftig sollen zudem gezielt Abbrecher aus technischen Studiengängen darauf angesprochen werden, welche Perspektive ihnen Wicke bieten kann. „Unsere Mitarbeiterbefragung zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, weil wir uns weltoffen und zugleich familiär verhalten und für jeden Einzelnen passende Konzepte suchen“, so Glowicki. Er ist sicher, dass sich wegen solcher Angebote herumspricht, wie attraktiv sein Unternehmen als Arbeitgeber ist.
So scheint Wicke gut gewappnet für den demografischen Wandel, eine wachsende Herausforderung für die Wirtschaft. „Seit Jahren nimmt der Anteil Älterer an den Mitarbeitern stark zu und steigt weiter“, so Thomas Zwick, Professor für Personal und Organisation an der Universität Würzburg. „Von dieser Entwicklung kann sich keiner abkoppeln.“ Belegschaften altern, weil die Babyboomer in die Jahre kommen und weniger Menschen in Frührente gehen. Firmenchefs sollten dies als Chance begreifen: Die Generation 50 plus ist qualifiziert und erfahren. „Daher bedeutet ein steigender Altersdurchschnitt in den Betrieben nicht, dass die Produktivität sinkt“, so Zwick. Heute seien 60-Jährige oft gesund, leistungsbereit und motiviert: „Das Klischee vom Graukopf, der kaum die Rente erwarten kann, stimmt nicht.“ Mit den richtigen Rahmenbedingungen, was die Organisation der Arbeit und die Ausstattung der Arbeitsplätze angeht, droht keine Produktivitätseinbuße. „Wenn Ältere dann in Teams mit Jüngeren arbeiten, sind alle produktiver“, unterstreicht Zwick. Und dabei können Erfahrungen weitergegeben werden.
Das ist wichtig – irgendwann scheidet jeder Ältere aus dem Betrieb aus. Daher besteht weitsichtige Personalplanung aus der Kombination von Angeboten für die Älteren und Aufgeschlossenheit für Lebens-umstände der Jungen. Adressiert werden sollten Zielgruppen, die nie im Fokus standen: Frauen, die nach der Familienphase zurückwollen, Bewerber mit körperlichen oder gesundheitlichen Einschränkungen sowie Migranten. „Am produktivsten sind Firmen, die mit gemischten Teams arbeiten – im Hinblick auf das Alter, aber auch Geschlecht und interkulturelle Vielfalt“, erklärt Katharina Heuer, Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP). Mit den richtigen Instrumenten lassen sich Kandidaten qualifizieren, etwa im Gespann mit erfahrenen Kollegen. Auch anspruchsvolle Aufgaben und flexible Arbeitsbedingungen helfen kleinen Firmen im Wettbewerb um Nachwuchskräfte gegen die Konzerne.
Altersmix der Firma analysieren
Der wird zunehmend härter, weiß Gerhard Wittemann, Geschäftsführer der Großbuchbinderei Schiffmann GmbH + Co. KG in Rösrath bei Köln. Er schafft einen ausreichenden Pool an qualifizierten Nachwuchskräften, indem er über den eigenen Bedarf ausbildet. Heute beschäftigt der Mittelständler 32 Mitarbeiter. Die fünf Auszubildenden sind jünger als 23, zehn Mitarbeiter unter 40, weitere zehn unter 50, die restlichen 50 plus – eine gesunde Mischung. Dazu hat beigetragen, dass Wittemann vor Jahren den betrieblichen Altersmix mithilfe einer systematischen Risikoanalyse unter die Lupe nahm. Dabei helfen kostenlose IT-gestützte Planungstools, etwa der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) in Berlin. Seitdem behält der Firmenchef bei Einstellungen diesen Punkt im Blick: „Unser Bewusstsein für demografische Risiken haben wir damit geschärft.“
Hier finden Sie Unterstützung
Zahlreiche Initiativen liefern Informationen oder stellen Kontakte her
Neue Qualität der Arbeit: In dieser Initiative engagieren sich Staat, Wirtschaft und Unternehmen für eine moderne Personalpolitik. www.inqa.de.
Demographie Netzwerk: Das Netzwerk von Firmen für Firmen hilft Unternehmen durch Wissenstransfer und Experteninput, demografiefest zu werden. www.demographie-netzwerk.de.
Portal zur Fachkräfteoffensive: Diese Plattform bietet spezifische Informationen für Unternehmen, Fachkräfte und Netzwerke. www.fachkräfteoffensive.de.
Career in Germany: Die Initiative wendet sich an Verbände, Betriebe, Jugendliche und Fachkräfte aus dem Ausland. Sie bündelt Infos zur Zuwanderung auf www.career-in-germany.net.
Bei Fragen sprechen Sie uns gerne an. Wir klären, was hinsichtlich Rente und Hinzuverdienst zu beachten ist.
Quelle: TRIALOG, Das Unternehmermagazin Ihrer Berater und der DATEV, Herausgeber: DATEV eG, Nürnberg, Ausgabe 02/2017