Vererben bei Patchworkfamilien
Heutzutage wächst in Deutschland bereits jedes 4. Kind in sogenannten „alternativen Lebensformen – wie bei Alleinerziehenden oder Patchworkfamilien – auf. Das traditionelle Ehepaar mit gemeinsamen Kindern scheint nicht mehr der alleinige Regelfall zu sein. Jede zweite Ehe in Deutschland landet vor dem Familiengericht.
Finden die geschiedenen Partner dann neue Partner, so wird rechtlich das Chaos perfekt, denn neben den eventuellen gemeinsamen Kindern aus erster Ehe bringen geschiedene Eheleute in die neue Beziehung die Kinder mit ein; diese haben dann verschiedene Väter und Mütter, daneben aber auch doppelte Großeltern. Problematisch wird es dann, wenn Elternteile, seien es die leiblichen oder die jeweiligen neuen Partner, sterben. Das komplizierte Erbrecht stellt dann eine besondere Herausforderung dar. Den erbrechtlichen Schwierigkeiten kann man am besten durch sinnvolle Regelungen zu Lebenszeit entgegnen, um nicht gewollte Erbkonstellationen und somit auch Familienstreitigkeiten zu vermeiden. Eine ausführliche steuerliche und rechtliche Beratung ist allerdings im Einzelfall dringend angeraten.
Patchworkfamilie Als Patchworkfamilie wird im weitesten Sinne eine Familie mit mindestens einem sogenannten „Stiefkind“ verstanden. Diese Stiefkinder wachsen in einer neuen Familie mit einem leiblichen Elternteil und einem Stiefelternteil auf. Manche Partner sind dabei (wieder) verheiratet oder leben in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften. Es gibt aber auch solche Lebensgemeinschaften, in denen die Kinder verschiedener Ex-Partner miteinander leben. Die neuen Beziehungen können wiederum gemeinsame Kinder hervorbringen.
Verbringt ein Stiefelternteil die meiste Zeit des Alltags mit den Kindern, so sollte es ihm ermöglicht werden, Entscheidungen zu treffen. Ist der Stiefelternteil mit dem Sorgeberechtigten verheiratet, muss keine separate Regelung erfolgen, da ihm mit der Heirat das „kleine Sorgerecht“ zusteht. Er ist damit zur Erziehung und Vertretung des Kindes im Alltag berechtigt. Gemäß § 1687b BGB darf der Stiefelternteil bei Gefahr in Verzug alle Rechtshandlungen vornehmen, die zum Wohle des Kindes notwendig sind. Der sorgeberechtigte Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten.
In Fällen, in denen die neuen Partner nicht verheiratet sind oder der leibliche Elternteil auch nicht das alleinige Sorgerecht hat, erhält der Stiefelternteil die zuvor genannten Rechte nicht. Es sollte eine Vollmacht erteilt werden, die diesem die Entscheidung über Alltagsangelegenheiten erlaubt. Diese Vollmachten müssen mit der Unterschrift des® Sorgeberechtigten versehen sein.
Erbfall Im Fall einer gesetzlichen Erbfolge bei Patchworkfamilien erben nur die leiblichen Kinder des Verstorbenen, seien es dessen einseitiges Kind und/oder das gemeinsame Kind. Der Erbanspruch des neuen Partners ist davon abhängig, ob dieser mit dem Verstorbenen verheiratet war. Stiefkinder erben nur im Falle einer Adoption durch den verstorbenen Stiefelternteil. Liegt diese nicht vor und sind auch sonst keine weiteren Vorkehrungen zu Lebenszeit getroffen worden, erbt ein Stiefkind trotz einer gegebenenfalls langjährigen sozialen Bindung zum Stiefelternteil nichts. Waren die Partner nicht verheiratet, erbt auch der neue Lebensgefährte nicht. Das Erbe wird allein unter den leiblichen Kindern des toten Partners verteilt. Die Quote ermittelt sich wie bei „normalen“ anderen Familien auch in Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder bzw. des Güterstandes.
Möchten die Partner in einer Patchworkfamilie mit Trauschein, das heißt Mann und Frau haben jeweils Kinder und sind in neuer Ehe verheiratet, die Absicherung des Ehepartners und die der leiblichen Kinder erreichen, so bietet sich die Einrichtung einer Vor- und Nacherbschaft durch testamentarische Verfügung an. Will beispielsweise ein Partner seine neue Ehepartnerin für den Erbfall versorgt wissen und gleichzeitig sicherstellen, dass außer ihr nur seine leiblichen Nachkommen erbrechtliche Ansprüche auf seinen Nachlass geltend machen können, kann die Ehefrau als Vorerbin und der Sohn als Nacherbe eingesetzt werden.
Dies hat im Erbfall die Folge, dass direkt nach dem Tod das gesamte Erbe auf die als Vorerbin eingesetzte Partnerin übergeht. Stirbt später auch der andere, länger lebende Ehegatte, geht das dadurch gebildete Sondervermögen direkt auf die als Nacherben eingesetzten Abkömmlinge über. Es wird somit sichergestellt, dass die leiblichen Kinder des später Verstorbenen keinerlei Erb- oder Pflichtteilsrechte am Nachlass des Erstverstorbenen erhalten. Vorsicht ist jedoch wegen möglicher Steuerfallen bei hohen Nachlässen geboten. Alternativ können auch die leiblichen Kinder als Vollerben eingesetzt und der Ehepartner durch Geld‑, Wohnungsrechts‑, Hausrats- etc. oder Nießbrauchsvermächtnisse abgesichert werden. Zur Durchsetzung von Vermächtnissen empfiehlt es sich dabei, einen Testamentsvollstrecker einzusetzen bzw. zu bestimmen.
Bei Patchworkfamilien ohne Trauschein, in denen Mann und Frau jeweils Kinder aus früheren Beziehungen haben, jedoch nicht verheiratet sind, besteht für den Fall des Todes des Lebenspartners eine große Unsicherheit. Denn falls der neue Lebenspartner kein eigenes Einkommen oder Vermögen besitzt, ist er unversorgt. Da zudem keine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung zwischen Stiefeltern und Stiefkindern besteht und diese aufgrund meist stärkerer emotionaler Bindung zum leiblichen Elternteil häufig keine freiwillige Unterstützung leisten, ist auch hier nicht zwingend Hilfe zu erwarten. Abhilfe dafür könnten vertragliche Regelungen des Zusammenlebens bringen, beispielsweise Unterhaltsansprüche für die Zeit vor und nach einer Trennung oder wem welches Vermögen gehören soll. Auch können für den Lebenspartner und dessen Abkömmlinge Wohn- und Nutzungsrechte vereinbart werden.
Ein gemeinsames Testament ist hingegen nicht erlaubt! Nur Einzeltestamente, die vom Testierenden allerdings jederzeit, ohne Kenntnis des Lebenspartners, widerrufen werden können, kommen infrage. Da dies keine zuverlässige Nachlassregelung darstellt, wäre beispielsweise ein notariell beurkundeter Erbvertrag eine sinnvolle Alternative. Steuerlich ist zudem zu beachten, dass Kinder aus früheren Beziehungen in Bezug auf die nicht miteinander verheirateten „Stiefelternteile“ keine Stiefkinder sind und damit nur die erbschafts-/schenkungssteuerlichen Freibeträge der Klasse III des Erbsteuergesetzes in Höhe von 20.000 Euro erhalten können. Gleiches gilt für Lebenspartner. Eingetragene Lebenspartner hingegen wurden durch das Jahressteuergesetz 2010 hinsichtlich der Steuerklasse mit Ehegatten gleichgestellt. Für Erben von eingetragenen Lebenspartnern gilt somit auch die Steuerklasse 1 und der Freibetrag in Höhe von 500.000 Euro.
Weitere Probleme bei gesetzlicher Erbfolge Haben Ehegatten, die sich scheiden lassen wollen, ein gemeinschaftliches Testament errichtet, so wird dieses normalerweise durch die Einreichung des Scheidungsantrages beim Familiengericht unwirksam. Hierbei gibt es aber auch Ausnahmen, weshalb im Vorfeld eine Prüfung dringend angeraten wird.
Beispielsweise bleibt es ausnahmsweise bei den von Ehegatten getroffenen Regelungen, wenn ein entsprechender Fortgeltungswille bei Testamentserrichtung festgestellt werden kann. Wenn mit Bindungswirkung verfügt wurde, bedarf es dann einer Aufhebung durch notariell beurkundeten Widerruf. Dann reicht ein neues Testament zugunsten der neuen Familie nämlich nicht aus. Der frühere Ehegatte könnte aufgrund des fortgeltenden und nicht widerrufenen Testaments alleine erben und der neuen Familie würden nur etwaige Pflichtteilsansprüche verbleiben.
Sofern geschiedene Ehepartner (Lebenspartner) ein gemeinsames Kind haben, ist zu beachten, dass beim Tod eines Elternteils nach gesetzlicher Erbfolge sein leibliches Kind erbt. Sollte dieses dann auch versterben, ohne eigene Abkömmlinge zu hinterlassen, fällt das Erbe auf dessen leibliche Mutter/leiblichen Vater zurück. Es erbt also der geschiedene Ehepartner. Um dies zu verhindern, sollte bereits im eigenen Testament Vorsorge getroffen werden, beispielsweise durch die – gegebenenfalls befristete – Einsetzung der Kinder lediglich als Vorerben. Das von diesen geerbte Vermögen fällt dann an die vom Erblasser benannten Nacherben und nicht an den ehemaligen Partner als gesetzlichen Erben des gemeinsamen Kindes.
Bei Mietverhältnissen von Eheleuten besteht folgende Regelung: Waren überlebender und verstorbener Ehegatte zusammen Mieter, wird das Mietverhältnis mit dem Überlebenden automatisch fortgesetzt. Der Überlebende tritt genauso in das Mietverhältnis ein, falls der Verstorbene alleiniger Mieter war. Die Kinder des Verstorbenen treten nur in den Mietvertrag ein, wenn sie, wie bei einer Patchworkfamilie üblich, mit in der Wohnung leben und der Ehegatte nicht eintritt.
Testamentarische Verfügungen zur Vermeidung von Problemen bei der Nachlassgestaltung Bei der Nachlassgestaltung zu Lebenszeit ist zu beachten, dass Vermögen sinnvoll aufgeteilt wird. Bei der gesetzlichen Erbfolge lassen sich oftmals wirtschaftlich sinnvolle Ergebnisse – z. B. beim Verkauf eines Nachlassgegenstandes – nicht mehr erreichen. In den entstehenden Erbengemeinschaften kommt es häufig zu langwierigen Streitigkeiten bzgl. der Erbaufteilung, weshalb die Entstehung solcher Gemeinschaften durch Vorkehrungen zu Lebenszeit unbedingt vermieden werden sollte.
Die gesetzlich geregelte Teilungsversteigerung zur Aufhebung der Erbengemeinschaft, bei der durch eine Versteigerung unteilbares Vermögen (z. B. Immobilien) in Geld als teilbares Vermögen umgewandelt wird, stellt höchstens den letzten Ausweg dar, weil auch hier keine klare Regelung zur späteren Aufteilung des Geldes besteht, ein Streit somit erneut entbrennen kann.
Eine weitere Möglichkeit ist die Anordnung einer Testamentsvollstreckung, wobei eine meist vom Erblasser ernannte Person (Testamentsvollstrecker) dessen letztwillige Verfügungen zum Ausdruck zu bringen hat, sowie bei minderjährigen Kindern die Anordnung einer Vermögensverwaltung. Dies hat den Vorteil, dass der Expartner so zwar weiterhin das alleinige Sorgerecht erhält, aber keinen Zugriff auf das an die Kinder vererbte Vermögen hat. Trotzdem bietet diese Regelung dabei nur eine Minimallösung, da die Erbengemeinschaft bestehen bleibt und damit keine dauerhafte Lösung vorliegt. Eher geeignet ist die Erbeinsetzung verbunden mit der Zuweisung einzelner Gegenstände im Wege von Vermächtnissen.
Doch auch beim Vorliegen einer letztwilligen Verfügung kann noch eine „kleine Erbengemeinschaft“ entstehen, wenn z. B. pflichtteilsberechtigte Angehörige vorhanden sind. Dies sind Abkömmlinge, Eltern oder Ehegatten, denen, sofern sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind, ein Anspruch auf einen Pflichtteil am Erbe zusteht, welcher der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils entspricht.
Fazit Die gesetzliche Erbfolge führt bei Patchworkfamilien oftmals zu nicht gewollten Ergebnissen. Trotz einer gegebenenfalls langjährigen sozialen Bindung des Stiefkindes zum Stiefelternteil erbt das Stiefkind nichts. Hierbei entsteht oft Familienstreit, der durch Regelungen zu Lebenszeit vermieden werden kann.
Es sollten Verfügungen von Todes wegen getroffen werden, denn nur so können auch Stiefkinder bedacht werden. Beim Vorhandensein pflichtteilsberechtigter Personen muss außerdem beachtet werden, dass sich deren Ansprüche durch eine Erbeinsetzung nicht erhöhen. Eine Lösung wäre die Nachlasstrennung hinsichtlich des Vermögens des Erstversterbenden und des Vermögens des Nachversterbenden, was sich durch eine Vor- und Nacherbenschaft und durch Vermächtnisse erreichen lässt. Eine Beratung für den konkreten Einzelfall ist jedoch unverzichtbar.
Wenn bereits bei Familien traditioneller Art dadurch, dass keine Erbregelungen getroffen wurden, lang andauernde Familienstreitigkeiten hervorgerufen werden können, ist es bei Patchworkfamilien erst recht vonnöten solche Situationen durch hinreichende Regelungen zu Lebenszeit zu verhindern.