ESM und EZB – endlich die Lösung der Krise in der Euro-Zone?
Marktkommentar der quirin bank AG / 4. Quartal 2012
Autor: Philipp Dobbert (Volkswirtschaft) • quirin bank AG
Die letzten Wochen haben wichtige Entscheidungen historischen Ausmaßes im Hinblick auf die Euro-Krise mit sich gebracht. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat angekündigt, unter bestimmten Voraussetzungen Staatsanleihen der Euro-Krisenstaaten anzukaufen und so Finanzmarktturbulenzen in diesem Bereich einzugrenzen. Wenig später entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass der permanente Rettungsschirm ESM – ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen – mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der europäische Fiskalpakt, der eine Harmonisierung der Finanzpolitik in den Euro-Mitgliedsstaaten zum Ziel hat, ist demnach sogar ohne Änderungen verfassungskonform. Viel ist in der Folge darüber diskutiert worden, was diese Entscheidungen mittel- bis langfristig für die Inflation oder die Belastung des deutschen Staatshaushalts bedeuten. Etwas weniger Beachtung fand hingegen die mindestens ebenso interessante Frage: Was bedeuten die Entscheidungen für die unmittelbaren Perspektiven des Euro-Raums? Ist die Krise nun vielleicht sogar endlich gelöst?
Die Details der EZB- und ESM-Entscheidung.Was ist konkret beschlossen worden? Das Bundesverfassungsgericht hat mit Blick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verfügt, dass Deutschland nur unter zwei Vorbedingungen den entsprechenden Vertrag ratifizieren darf. Erstens darf die Haftungssumme, mit der sich Deutschland am permanenten Rettungsschirm beteiligt, den derzeit festgelegten Betrag von 190 Mrd. Euro keinesfalls übersteigen. Passagen des ESM-Vertrags, die zumindest nicht ausschließen, dass die Haftungssumme in Nachhinein auch ohne neuerliche Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats erhöht werden kann, sind in diesem Sinne durch eine ergänzende vertragliche Regelung unwirksam zu machen. Zweitens dürfen die Regelungen zur Vertraulichkeit im ESM-Vertrag nicht dazu führen, dass die Informationspflichten gegenüber den beiden deutschen Legislativkammern ausgehebelt werden.
Für beide Vorbehalte hat man offenbar bereits eine Lösung zur Umsetzung gefunden. Insofern steht dem Inkrafttreten des permanenten Rettungsschirms nichts mehr im Wege. Er wird seine Vorgängerin, die Europäische Finanzstabilisierungs-Fazilität (EFSF), auf Sicht ablösen. Hierdurch soll zweierlei erreicht werden:
Erstens soll das höhere Volumen des neuen Rettungsfonds auch die Inanspruchnahme durch größere Volkswirtschaften, wie etwa Spanien, ermöglichen. Zweitens wird durch den Wegfall einer zeitlichen Begrenzung des Rettungsschirms erreicht, dass es keine Unsicherheit über eine Zeit danach mehr gibt. Den Finanzmärkten soll so signalisiert werden, dass die europäische Politik nun über ein Instrument verfügt, das durch Umfang und Ausgestaltung in der Lage ist, auch weiterhin in Turbulenzen geratene Mitgliedsstaaten finanziell zu unterstützen – ganz unabhängig davon, wie lange diese Staaten für eine eigenständige Rückkehr an die Kapitalmärkte benötigen.
Ganz wesentlich ist diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch für die Effektivität der EZB-Politik. Die EZB hat angekündigt, ihr Programm zum Ankauf von Anleihen europäischer Krisenstaaten wieder aufzunehmen und nötigenfalls in unbeschränktem Umfang tätig zu werden. Bereits jetzt befinden sich Peripherie-Staatsanleihen im Gegenwert von etwas mehr als 200 Mrd. Euro in den Handelsbüchern der Zentralbank. Anders als diese bereits getätigten Käufe soll das nun angekündigte Programm allerdings deutlich transparenter sein und auch nur unter bestimmten Voraussetzungen durchgeführt werden. Der EZB-Rat hat sich insbesondere darauf geeinigt, nur dann am jeweiligen Staatsanleihemarkt einzugreifen, wenn das betreffende Land zuvor einen Hilfsantrag an den permanenten Rettungsschirm ESM (oder dessen Vorgängerin EFSF) gestellt hat. Das bedeutet gleichzeitig, dass die jeweilige Regierung ein Anpassungsprogramm ins Leben rufen muss, das strukturelle Schwächen im Staatssektor und Probleme bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit angehen soll. Also: ohne ESM keine EZB-Intervention.
Eigentlich gibt es zwei Euro-Krisen.Wie tragen nun die beiden Entscheidungen zu einer Lösung der Krise des Euro-Raums bei? Zur Beantwortung dieser Frage ist es unabdingbar, die Euro-Krise selbst genau zu analysieren. Hierbei fällt auf, dass es die Euro-Krise im Grunde gar nicht gibt und wir es vielmehr mit zwei Euro-Krisen zu tun haben. Maßgeblich für diese Erkenntnis ist die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Symptomen bzw. Problemen der Euro-Krise.
Die akute Krise des Euro-Raums lässt sich am einfachsten mit der Befürchtung von Investoren umschreiben, dass der gemeinsame Währungsraum möglicherweise nicht mehr oder nicht mehr in der aktuellen Zusammensetzung existieren könnte.
Ganz konkret geht es um das Risiko, dass einzelne Staaten wie z. B. Griechenland oder Spanien – aber etwa auch Deutschland – aus der Gemeinschaftswährung austreten. Noch größere Sorgen verbinden sich mit der Möglichkeit eines unkontrollierten Zusammenbruchs der gesamten Währungsunion. Ausschlaggebend für diese Risiken sind die Probleme einzelner Regierungen von Mitgliedsstaaten der Euro-Zone, sich zu verkraftbaren Konditionen Finanzmittel an den Kapitalmärkten zu beschaffen. Denn dies schürt die Angst davor, dass es auch bei der Rückzahlung von bereits ausgegebenen Staatsanleihen zu Liquiditätsproblemen und somit zu Zahlungsausfällen kommen könnte. Dieser Mechanismus aus Vertrauensverlust und finanzieller Schieflage verstärkt sich selbst.
Die chronische Krise fußt auf den unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen in der Euro-Zone. Diese gab es natürlich bereits vor der Einführung der Gemeinschaftswährung. Zu dieser Zeit wurden die Ungleichgewichte (z. B. starke Export- oder Importüberschüsse einzelner Nationen) allerdings weitgehend durch Wechselkursbewegungen ausgeglichen.
Die Euro-Einführung hat diesen Korrekturmechanismus ausgeschaltet. Dies hat allerdings nicht zu einer Überwindung der Unterschiede, sondern sogar noch zu einer Verfestigung der strukturellen Differenzen geführt. Die Gemeinschaftswährung hat die wirtschaftlichen Unterschiede in der Euro-Zone gewissermaßen zementiert. Die Folge ist, dass es heute umso drastischerer Anpassungsprogramme bedarf, um die Heterogenität des Wirtschaftsraums wenigstens in Grundzügen der Homogenität des Währungsraums anzupassen. Alle Maßnahmen, die auf eine Lösung oder zumindest Entschärfung der Euro-Krise abzielen, müssen also im Hinblick auf diese beiden Facetten der derzeitigen Probleme hin untersucht werden – können sie zur Lösung der akuten und/oder der chronischen Probleme beitragen?
Die Lösung? Relativ schnell wird bei einer auf diese Weise durchgeführten Analyse deutlich, dass es nicht die eine bahnbrechende Lösung für beide Problemfelder geben kann, die sich durch eine einzige Entscheidung herbeiführen ließe. Vielmehr bedürfte es für eine wirkliche Lösung der Krise im Euro-Raum eines Maßnahmenbündels, das die verschiedenen Aspekte der komplexen Krise berücksichtigt. Damit wird auch klar, dass die jüngsten Entscheidungen die Euro-Krise ebenfalls nicht gänzlich werden lösen können. Denn sie beziehen sich beide ausschließlich auf den akuten Aspekt der Turbulenzen, nicht aber auf die chronischen Probleme.
Allerdings hat insbesondere die Ankündigung der EZB tatsächlich eine neue Dimension in der Krisenbekämpfung eröffnet. Zwar hat die EZB auch schon in früheren Phasen Anleihen von klammen Euro-Staaten in ihre Bücher genommen. Dies geschah aber weitgehend intransparent und für Außenstehende nicht nachvollziehbar – vielmehr gab es erst nach Abschluss der jeweiligen Transaktion eine entsprechende Information, die keinen Aufschluss über die weiteren Absichten der EZB gab. Diesmal aber ist das Vorgehen der Zentralbank von vornherein transparent kommuniziert: Wenn ein Land der Euro-Zone die gestellten Anforderungen erfüllt, kann die EZB notfalls unbegrenzt in den Anleihemarkt eingreifen. Die EZB signalisiert damit unmissverständlich: Der jeweilige Markt wird im Zweifel vollständig kontrolliert, eine Spekulation dagegen kann nicht erfolgreich sein, da die EZB im Euro-Raum über unbegrenzte Mittel (Stichwort: Gelddruckmaschine) verfügt.
Ein Blick auf die oben skizzierten Charakteristika der akuten Euro-Krise zeigt, dass eine solche Ankündigung der EZB – anders als die vorhergehenden, jeweils für sich genommenen eher zaghaften Versuche – erstmals das Zeug dazu hat, akute Befürchtungen vor einem Zusammenbruch der Euro-Zone wirksam und für längere Zeit zu zerstreuen. Dies ändert aber nichts an zwei Tatsachen: Erstens geht diese Möglichkeit mit hohen Kosten einher. Nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der EZB und damit auch die mittelfristige Preisniveaustabilität stehen auf dem Spiel. Zweitens bieten EZB-Interventionen keine Antwort auf die chronischen Probleme der gemeinsamen Währung. Strukturreformen in den schwachen Euro-Staaten sind unabdingbar. Dies hat die EZB zwar auch mit den Bedingungen, die sie für eine mögliche Intervention stellt, berücksichtigt. Offen bleibt allerdings, wie stringent diese Anforderungen letztlich umgesetzt werden.
Und auch die Entscheidungen der letzten Wochen selbst könnten noch für einige Spannung sorgen. So wird vielfach außer Acht gelassen, dass das Bundesverfassungsgericht zunächst nur über Eilanträge, nicht aber in der Hauptsache entschieden hat. Hier ist nicht auszuschließen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung auch die Anleihekäufe durch die EZB ins Visier nimmt und eine Unvereinbarkeit mit gesetzlichen Regelungen, etwa dem Verbot der Staatsfinanzierung, identifiziert. Das kraftvolle Kriseninstrument der EZB wäre umgehend wieder stumpf. Einer wirklichen Lösung der Euro-Krise ist man insofern zwar ein gutes Stück nähergekommen, gleichzeitig bleibt aber noch ein weiter Weg zu gehen. Und dieser Weg wird nicht weniger turbulent sein als der bislang zurückgelegte.